Besonders Einwohner von Kreta sollen im großen Stil Agrarsubventionen der Europäischen Union für Ländereien, die sie weder besaßen, noch bewirtschafteten, betrügerisch beantragt und so seit 2017 viele Millionen Euro unrechtmäßig kassiert haben. Doch wie kann es sein, das ein solch systematischer Subventionsbetrug möglich war, und warum sind eine Vielzahl der betrügerischen Anträge für Ländereien in ganz Griechenland und darüber hinaus auf Kreta gestellt worden?

Schwarze Schafe und Ziegen sind auf Kreta dann ein Problem, wenn sie unkontrolliert auswärts weiden ©Kretaplan
Jährlich bis zu 45 Millionen Euro Schaden
Die Europäische Staatsanwaltschaft (EPPO) untersucht derzeit eine beträchtliche Anzahl von Fällen unrechtmäßig ausgezahlter EU-Agrarsubventionen seit 2017, die von der zuständigen griechischen Organisation für Zahlungen und Kontrolle der Gemeinschaftsbeihilfen, Beratung und Garantien (OPEKEPE) bewilligt worden waren. Antragssteller mussten dabei weder prüfungsfeste Besitzurkunden noch Pachtverträge oder ähnliche Unterlagen einreichen, um die Rechtmäßigkeit ihrer Subventionsanträge zu belegen. Auch wurden die Daten der Vorjahre in der dem griechischen Landwirtschaftsministerium unterstellten OPEKEPE nicht abgeglichen, so dass hätte auffallen können, wie einige Ländereien immer wieder von anderen Begünstigten gemeldet wurden, nie aber doppelt in einem Jahr. Letzteres ein Hinweis darauf, dass der Betrug von einer Position mit Akteneinblick koordiniert war. So summierte sich der systematische Betrug auf bis zu 45 Millionen Euro – jährlich. Das Volumen dürfte tatsächlich beträchtlich sein, da sich allein in Griechenland die förderfähige Weidefläche durch Gesetzesänderungen im Jahr 2017 verdoppelt hat, und nun nicht nur Weiden, sondern auch Buschland und Waldgebiete berücksichtigt worden sind.
Insider-Job, gedeckt von Vorgesetzten?
Zwischen 2017 und 2020 konnten Viehzüchter, hauptsächlich von Kreta, solche Gelder des European Agricultural Guarantee Fund (EAGF) sowie des European Agricultural Fund for Rural Development (EAFRD) abgreifen, ohne eine tatsächliche Verbindung zu den Parzellen irgendwo in Griechenland – oder auch in einigen Fällen Nordmazedonien, also außerhalb der EU – zu haben, die von der OPEKEPE mit Subventionszahlungen bedacht wurden. Einige der Begünstigten wurden bereits angeklagt und zu Haftstrafen verurteilt, doch innerhalb der für die Verteilung der Gelder zuständigen Agentur wurde bislang niemand belangt. Doch die Ermittlungen haben bereits deutliche Hinweise auf ein System von systematischen Ungenauigkeiten bis zur Unterlassung bei der Prüfung der Anträge ergeben, ebenso wie Hinweise der aktiven Unterstützung der Betrügereien seitens der Agentur.
Bemerkenswert, zumal die ehemalige Leiterin der Innenrevision von OPEKEPE, Paraskevi Tycheropoulou, daran arbeitete, das interne Betrugssystem aufzudecken – allerdings unter größten Schwierigkeiten, da seitens der Politik vertuscht wurde. So wurde 2020 auch der damalige OPEKEPE-Präsident Grigorios Varras zum Rücktritt genötigt, als er darauf drang, die Vergabepraxis verdächtiger Subventionen zu prüfen. Auch Tycheropoulou wurde aus dem Amt gedrängt und berät nun die Europäische Staatsanwaltschaft in den Ermittlungen.

In Kretas Bergwildnis wird es nicht immer so genau genommen mit dem Grundbuch ©fietzfotos/pixabay
Laut EU-Anwaltschaft ein akutes Phänomen
Die Europäische Staatsanwaltschaft (EPPO) verfolgt seit 2021 Straftaten zum Nachteil des EU-Haushalts, darunter eben auch Agrarsubventionsbetrug. Für das Jahr 2023 wurde in Griechenland in mehr als 200 Verfahren mit einem geschätzten Gesamtschaden von 19,2 Milliarden Euro ermittelt, das Problem ist also keineswegs abgestellt. Das Büro der EU-Anwaltschaft in Athen hat kürzlich gegen rund 100 Begünstigte Anklage wegen Agrarsubventionsbetrug erhoben, dabei soll es um einen Schadenswert für den EU-Haushalt von rund 2,9 Millionen Euro gehen. In mehreren Fällen stehen die Verhandlungen noch aus, weitere Gerichtsverhandlungen sind für März und Mai angesetzt.
Doch wie sehr wurde auch in den aktuellen griechischen Fällen die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU ausgenutzt, die einen solchen Missbrauch von Subventionszahlungen scheinbar beförderte, in dem die Meldung "virtueller" Ländereien zur Erlangung von innereuropäischen Subventionen ausreichte? So wurden, wie kürzlich bekannt wurde, allein 250.000 Euro an Agrarsubventionen für mehrere Weideflächen auf der Insel Gaidaronísi bewilligt, einer kleinen Insel vor der Südküste Kretas, die seit 1995 unter strengem Naturschutz steht und eigentlich überhaupt nicht beweidet werden sollte.
Ein Europäisches Problem, ein Griechisches oder spezifisch eines von Kreta?
Problematisch ist die Vergabepraxis der GAP-Subventionen zweifellos, geht es doch um ungeheuer große Geldtöpfe, in denen rund ein Drittel des gesamten EU-Haushalts stecken. Der Druck aus Brüssel auf die griechischen Behörden wächst jedenfalls, im März vergangenen Jahres verhängte die Europäische Kommission bereits eine Geldstrafe von 283 Millionen Euro gegen Griechenland aufgrund von Misswirtschaft bei der OPEKEPE, mit anschließender 12-monatiger Bewährung. Das Ganze ist auch für Griechenland kein kleines Problem. Nach dem Korruptionswahrnehmungsindex (CPI), einer regelmäßigen Metastudie von Transparency International, liegt Griechenland nach wie vor mit einem Score von 49 aus 100 auf einem schlechten 59. Platz von 180 untersuchten Ländern und hat damit weiterhin ein beträchtliches Problem mit Korruption, Vetternwirtschaft und Vorteilsnahme.
Doch sind nun die Viehzüchter Kretas, auf deren Konto die Mehrzahl der Betrugsfälle gingen, besonders habgierig? Oder fühlen sich so weit ab von Brüssel und Athen einfach unbeobachtet? Während es auf der Insel durchaus viele Landflächen gibt, deren Besitzverhältnisse noch nicht sauber erfasst sind, da sie nicht in den letzten Jahren den Besitzer wechselten und dabei automatisch digital erfasst werden konnten, waren in den bekannt gewordenen Fällen ja Parzellen in ganz Griechenland betroffen. Und doch gibt es in abgelegenen Bergregionen wie der Lasithi-Hochebene und Kartharos noch viele fruchtbare Landflächen, die über Generationen per Handschlag weitergereicht werden und über die es keinerlei offizielle Aufzeichnungen gibt. Vor diesem Hintergrund können schwarze Schafe schon mal auf Ideen kommen, die in diesem Fall in scheinbar sumpfigen Behörden äußerst fruchtbaren Boden fanden.

Auf Kreta gibt es viele Ländereien, deren Besitzverhältnisse und Bewirtschaftungsstatus nicht immer offiziell erfasst sind ©Kretaplan
Nachtrag: Aufschlussreiche Razzia der EPPO in OPEKEPE-Büros
Im Mai nahm die Angelegenheit eine neue Wendung, als Ermittler der Europäischen Staatsanwaltschaft zusammen mit lokalen Polizeikräften eine Razzia in Büros der Agentur OPEKEPE durchführten und auf heftigen Widerstand der Behördenmitarbeiter stießen, die die Kooperation verweigerten und keine Unterlagen aushändigen wollten, bis die Polizeikräfte eidesstatliche Versicherungen von den osbtinaten Mitarbeitern einforderten. Die Durchsuchung der Büros zog sich bis Tief in die Nacht.
Wohl auch als Folge dessen wurde in einer Kabinettssitzung von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis bekannt gegeben, dass die OPEKEPE sofort aufgelöst werden soll und die bis zu 700 Mitarbeiter bis Ende des Jahres 2026 der griechischen Steuerbehörde AADE unterstellt werden sollen, sofern im Einzelfall keine Mitschuld an den Betrügereien der letzten Jahre nachgewiesen werden könne. Demnach wurde die AADE für die Umsetzung der Vergabepraxis der EU-Gelder ausgewählt, da sie aufgrund der Unabhängigkeit der Behörde und ihrer bedeutenden Erfolge bei der Bekämpfung der Steuerhinterziehung wohl keinerlei Verdacht eines Weiter-so-wie-bisher aufkommen lassen würde – wie auch immer sich das im Einzelnen aus den sichergestelten Daten ablesen lassen wird. Was auf Seiten der EU von den Plänen gehalten wird, auch hinsichtlich langwieriger Zertifizierungsprozesse, bleibt ebenfalls abzuwarten.
Weiterführende Links:
The big fat Greek plot to defraud the EU auf Politico
Zu den Anklagen der Europäischen Staatsanwaltschaft bei Radio Lasithi
Griechischer Stand im Korruptionsindex via GreekReporter
und direkt im Ranking von Transparency International
Zur geplanten Schließung der OPEKEPE via Lato.fm
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