Die Affäre um die griechische Agentur OPEKEPE, die tief in einen jahrelang andauernden Betrug um EU-Agrarsubventionen verstrickt ist, zieht weitere Kreise. Nachdem es zunächst hieß, unrechtmäßig an Betrüger ausgezahlten EU-Mittel in Millionenhöhe würden zur Not aus Steuergeldern rückerstattet, hat man nun bei den Verantwortlichen in der Regierung erkannt, dass das nicht mehr vermittelbar wäre. Es werden doch ernstere Konsequenzen gezogen, erste Verantwortliche mussten zurücktreten. Was es Neues über die Hintergründe gibt.

Schluß mit EU-Subventionen für nicht-existentes Weidevieh, das auswärts auf Weiden grast, die es gar nicht gibt? ©wsanter/pixabay
In den Jahren 2017 bis 2020 kam es Medienberichten zu Folge zu zahlreichen unrechtmäßigen Auszahlungen von EU-Agrarsubventionen durch die griechische Agentur OPEKEPE an Empfänger, die aus unterschiedlichen Gründen keinerlei Anrecht auf Zahlungen hatten. Mal wurde Weideland gemeldet, welches in anderen Regionen Griechenlands lag, mal in Naturschutzgebieten auf unbewohnten Inseln oder sogar im Nicht-EU-Ausland Nordmazedonien, wobei eine tatsächliche Beweidung keineswegs nachzuweisen war. Immer aber schienen sämtliche Prüfmechanismen der von der EU zertifizierten Agentur versagt zu haben, so dass zumindest eine passive Mitschuld der Aufsichtsbehörde anzunehmen ist.
Das Ende von OPEKEPE – oder doch nicht so ganz?
Als sich im Mai die Lage zuspitzte, als Ermittler der Europäischen Staatsanwaltschaft (EPPO) Büros der OPEKEPE in Athen und Heraklion durchsuchen wollten und auf heftigen Widerstand einiger Behördenmitarbeiter stießen, die sich unter Druck der unterstützenden Polizeikräfte und trotz Androhung gerichtlicher Konsequenzen weigerten, Akteneinsicht zu gewähren, war wohl auch der politischen Führung klar, dass es kein Weiter-wie-bisher geben könne – stünden doch frische Subventionszahlungen in Millionenhöhe an sowie die Zertifizierung der Agentur zur Auszahlung von EU-Mitteln auf dem Spiel. Wenig später gab Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis von der Nea Dimokratia bekannt, dass die OPEKEPE sofort aufgelöst werden soll und die Mitarbeiter bis Ende des Jahres 2026 der griechischen Steuerbehörde AADE unterstellt werden, sofern im Einzelfall keine Mitschuld an den Betrügereien der letzten Jahre nachgewiesen werden könne. Offenkundiges Interesse im Haus an der Aufdeckung der Mißstände sieht jedenfalls anders aus, wie die EPPO-Ermittler immer wieder feststellen mussten.
Der Minister für ländliche Entwicklung und Ernährung, Costas Tsiaras, sprach noch Ende Juni 2025 in einem Interview von Reformbemühungen: "Wir haben OPEKEPE unter Beobachtung gestellt und mit der EU-Generaldirektion Landwirtschaft die Umsetzung eines Aktionsplans vereinbart. Seit dem 11. September 2024 befindet sich OPEKEPE auf Reformkurs. Wir werden keinen Raum für Fenster der Vergangenheit lassen." Aber eben auch: "Über OAED [Arbeitsagentur, d. Red.] und das Arbeitsministerium werden wir 100 zusätzliche Mitarbeiter einstellen, um den Kontrollmechanismus von OPEKEPE zu stärken." Klingt das wirklich nach einem rigorosen Ende eines Systems, dass Mitsotakis mit der sofortigen Eingliederung in die als unabhängig und unbestechlich geltende Steuerbehörde eigentlich vermitteln wollte?
Personelle Konsequenzen bis hoch in Regierungskreise
Zumindest kündigte Parteikollege und Minister Tsiaras an, dass die unrechtmäßig ausgezahlten Subventionen – in Einzelfällen mehrere Millionen Euro pro Antragssteller – von den Empfängern zurückgefordert werden sollen. Das darf durchaus als Fortschritt gewertet werden, war man sich bislang angesichts noch unklarer Höhe der an die EU zu erstattenden Beträge nicht im Klaren darüber, wie das bewerkstelligt werden sollte. Zu den zurück geforderten Subventionen kommt schließlich noch die Strafe für Aufsichtspflichtverletzungen, die Griechenland in der Sache an die EU zu entrichten haben wird, nach heutigem Stand gut 415 Millionen Euro. Der Schaden für Griechenland geht also jetzt schon weit über das ramponierte Image hinaus, weshalb sich die Regierung wohl auch zu personellen Konsequenzen genötigt sah.
Der von 2019 bis 2021 amtierende Minister für ländliche Entwicklung und Ernährung Makis Voridis, der bis zum 30. Juni 2025 noch dem Migrationsministerium vorstand, trat zusammen mit drei seiner damaligen Staatssekretäre zurück. Ihm könne persönlich eine Vernachlässigung der Kontroll- und Aufsichtspflichten vorgeworfen werden. Doch auch sein Nachfolger Costas Tsiaras wird sich wohl noch einige Fragen gefallen lassen müssen, wendete er sich doch zunächst gegen die Abordnung der ehemaligen Leiterin der OPEKEPE-Innenrevision Tycheropoulou – die ihrerseits daran gearbeitet hatte, das interne Betrugssystem aufzudecken und sich dafür mit Disziplinarmaßnahmen konfrontiert sah – als technische Beraterin an die Ermittler der EPPO. Auch auf Ministerebene war man sich wohl der Brisanz der Notwendigkeit zur Aufklärung nicht so recht bewusst.

Preisfrage: Wieviele Ziegen passen in eine Schlucht – und wieviel Millionen verdienen sie damit? ©Kretaplan
Warum Kreta Hotspot des Betrugs war, Lasithi aber nicht
Im Jahr 2015 wurde mit der Europäischen Kommission eine sogenannte »technische Lösung« als vorübergehende Regelung eingeführt, die es Viehzüchtern erlaubte, Weiden in anderen Landesteilen für Subventionen zu melden. Zudem konnten ab 2017 auch Waldgebiete und Berghänge als Weideflächen gemeldet werden, die zuvor nicht meldefähig waren. Und das wurde scheinbar im großen Stil so fortgeführt. Konkret wurden für das Jahr 2020 für Kreta etwa 2,2 Millionen Schafe und Ziegen registriert. 2024 betrug die Zahl bereits über 7,8 Millionen Tiere, was rund 45% des gesamtgriechischen Viehbestandes entspräche, der im Rest Griechenlands tatsächlich aber schrumpfte oder zumindest stagnierte.
Dazu kommt bemerkenswerterweise, dass nach EU-Regularien die fast 8 Millionen kretischen Weidetiere einen gesetzlich errechneten Platzbedarf von über 16 Millionen Hektar Weidefläche (2,1 ha pro Tier bei mediterranen Bedingungen, d.h. bergig und trocken) benötigen würden. Mehr als 2,4 Millionen ha Weiden stehen auf Kreta allerdings gar nicht zur Verfügung. Da kam die »technische Lösung« ins Spiel. Während die westkretische Präfektur Rethymno 4,4 Millionen Tiere auf 216.500 ha Weidefläche zählte, sind es in der ostkretischen Präfektur Lasithi glaubhaftere 350.000 Tiere auf 623.900 ha Weideland. In Rethymno sitzen scheinbar demnach besonders viele ausgefuchste Techniker unter den Viehhaltern und Weidenpächtern. Zunächst 115 Betrugsfälle aus ganz Kreta sollen im Herbst vor Gericht verhandelt werden. Die Aktenlage nach den Razzien in den OPEKEPE-Büros soll jedenfalls ergiebig sein.
Druck dürfte steigen, wenn die europäische Öffentlichkeit Interesse zeigt
Dennoch glauben einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Alco nur rund 24% der Griechen, dass die Verantwortlichen für die Betrügereien zur Rechenschaft gezogen werden. Auch wenn Premier Mitsotakis im Zuge der kleinen Regierungsumbildung davon sprach "keine Toleranz gegenüber Gefälligkeitsverhalten" zu akzeptieren, dürfte es nun besonders auf den Umgang mit der Ahndung der Betrügereien ankommen. In einem ersten Prozess gegen sieben angeklagte Subventionsempfänger, darunter ein Rechtsanwalt, wurde von der Verteidigung angeführt, die Angeklagten wären einem Rechtsirrtum erlegen, in dem sie annahmen, die Beantragung von Subventionen für Weiden ohne tatsächliche Beweidung wäre statthaft. Die große Frage dürfte am Ende sein, welche Voraussetzungen auf administrativer Seite solche Standpunkte befördert hat – über die OPEKEPE hinaus beispielsweise die offiziellen Versäumnisse hinsichtlich aktueller Erfassung von realen, nicht nur »technischen« Weideflächen.

Auf Kreta gehen oft inoffizielle Weideflächen wie "wilde" Berghänge in bewirtschaftete Olivenhaine über ©Kretaplan
Tatsächlich dürfte es in einer Gesellschaft, in dem einem Rentner nicht erlaubt ist, sich von seinem Erspartem sein bescheidenes Traumauto oder ein kleines Boot zu kaufen, ohne zusätzlich jährliche Strafsteuer (auf fiktives Einkommen, genannt »Schätzung«) zahlen zu müssen, nur schwer vermittelbar sein, wenn auch aus seinen Steuerzahlungen die scheinbar organisierten betrügerischen Tricksereien finanziert werden, die nun im Fokus der griechischen Öffentlichkeit stehen. Denn die mehreren Milliarden Euro, auf die sich die Betrugsfälle über die Jahre summiert haben, gehen schließlich zu Lasten der Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) und des EU-Haushalts, für dessen Befüllung ja keineswegs nur Griechen verantwortlich sind, die solche Umstände gewohnt sind. Doch: Man scheint sich in Athen einig, dass nun Mechanismen zur Rückforderung der unrechtmäßig gezahlten Subventionen kommen sollen.
Weiterführende Links:
The big fat Greek plot to defraud the EU auf Politico
Interview mit Investigativjournalist Tasos Telloglou zum Fall OPEKEPE bei Radio Lasithi
Bericht zur »technischen Lösung« der Weidewirtschaft via Anatoli
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