Jedes Land, jede Kultur hat spezifische Eigenheiten. Wer noch nicht allzu lange in Griechenland lebt, dem fallen ein paar besonders seltsame Phänomene auf, mit denen man es im griechischen Alltag zu tun bekommt. Denn die Griechen hatten seit der Erfindung der Demokratie einige Zeit, sich vielerlei eigenartige Dinge auszudenken, die anderenorts eher undenkbar wären. So sind Überweisungen von toten Angehörigen keine Seltenheit, auch per Steckbrief wird in jedem Dorf der Ahnen gedacht. Und Yoghurt ist überall. Eine unvollständige Betrachtung.


Wer viel Zeit hat, auf Ziegen und das Meer zu starren, kommt mitunter auf eigenartige Ideen ©Andrzej & Stefan/pixabay
Wanted: Dead, not alive
Zunächst prägt eines der erwähnenswerten Phänomene das griechische Straßenbild von den kleinsten Bergdörfern bis hinein in die größeren Städte. Wie eigentlich bei allen südeuropäischen Kulturen steht die griechische Familie über allem. Familienfeiern können gar nicht groß genug ausfallen, egal ob Hochzeit, Taufe oder Namenstag (weit wichtiger als Geburtstage). Doch auch wenn es ums Sterben geht, wird eine etwas eigenartige Tradition gepflegt. Denn in unzähligen staubigen Dortstraßen wird im Morgengrauen die idyllische Ruhe nur durch das schneidende Stakkato der Tacker gestört, die die Gesichter der Toten an die hölzernen Strommasten heften. Zumindest Abbilder der Verstorbenen, denn es sind Todesanzeigen, die ganz im Stil eines Wildwestern-Steckbriefs hier einen letzten Gruß aus dem Jenseits darstellen.
Doch dabei bleibt es nicht, denn die Griechen feiern nun einmal traditionell sehr gern. Dafür sorgt der orthodoxe Brauch des Μνημόσυνο, einer traditionellen Gedenkfeier, die zum ersten Mal nach drei Tagen nach dem Tod des Verstorbenen abgehalten wird. Und dann wieder am 9. Todestag. Und dann wieder am 40. Todestag, am 90. Todestag, am 365. Todestag. Am 1095. Todestag. Und so weiter. Wobei in unterschiedlicher Intensität, aber nach feststehendem Schema von Gottesdienst, Totenspeise und Gedenkfeier gedacht wird. »Ζωή σε εσάς.« Und auch wenn die Panzerung der Strommasten mit tausenden Heftklammern und versteinerten Plakatresten anderes vermuten lassen: nicht jeder Todestag wird mit neuem Steckbrief angekündigt. Nur die wichtigsten.

Wohl nicht alles Pferdediebe – lediglich verstorben. Auch im Bild: Müllsammelcontainer (blau für Wertstoffe) ©Kretaplan
Überweisungen aus dem Jenseits: Ahnen geistern durch Formulare
Ein weiterer ritueller, wenn nicht gar bürokratischer Weg, den Ahnen zu gedenken, wird täglich in Formularen und anderen Papieren überall in der Ελληνική Δημοκρατία praktiziert. Denn jeder in Griechenland lebende Mensch wird nicht nur mit seinem Namen und Geburtsdatum, sondern gründlicherweise eben auch mit dem Namen der Eltern, zunächst aber dem des Vaters, registriert. Das kann durchaus dazu führen, dass behördliche Formulare so lange erneut eingereicht werden müssen, bis der bearbeitende Beamte den teutonisch reichhaltig mit Umlauten, Bindestrich und SCH versehenen Vornamen des Vaters des Delinquenten zufällig richtig aufgenommen hat. Erst dann kann man in Griechenland ein Bankkonto eröffnen (zusammen mit seinem ggf. verstorbenen Vater), Verträge schließen (zusammen mit seinem ggf. verstorbenen Vater), Überweisungen tätigen (zusammen mit seinem ggf. verstorbenen Vater) und ein Haus kaufen (mit seinem ggf. verstorbenen Vater). Auf das wirklich kein Erzeuger in Vergessenheit geraten möge.
Warum die Griechen gut im Basketball sind...
Für die meisten Urlauber in Griechenland ist es ein Phänomen, dass nur allzu gerne links liegen gelassen wird, da man als Tourist schließlich seinen Müll in der Regel ohne Weiteres komfortabel im Hotel entsorgen kann. Doch schon wer als Selbstversorger per Couchsurfing oder Ferienwohnung das Land bereist, wird früher oder später einen suchenden Blick und anschließend seinen Beutel auf den nächstgelegenen Müllcontainer werfen. Das ist in Griechenland nicht immer eine Freude, da die großen Plastikcontainer meist mit offenen Deckeln am Straßenrand herumstehen (unterirdisch versenkte Müllschlucker gibt es bislang nur vereinzelt in urbanen Gebieten), und das aus zwei Gründen:
Erstens schafft man so ein dauerhaft geöffnetes SB-Buffet für alle streunenden Katzen und ermöglicht zweitens das Einwerfen des eigenen Müllbeutels im Vorbeifahren, um möglichst kurz dem Gestank von tagelang in sengender Sonne gärendem Müll (inklusive der aus den Toiletteneimern) ausgesetzt zu sein. Glücklich also, wer den nächsten Müllsammelcontainer nicht in Riechweite, aber auch nicht zu weit weg vorfindet, um den Abfall des Tages dezent am Aussenspiegel des Autos baumelnd zum Einwerfen chauffieren zu können. So kommt es, dass der eine oder andere Grieche mit seinem Ballast der Wegwerfgesellschaft auf dem Autodach oder dem Heckspoiler länger als gewollt durch die Gegend fährt und eben nicht gleich sauber mit Korbleger abschließt. Man kann schließlich nicht immer an alles denken.
Die Stromrechnung als Allzweck-Einzug von Sperrmüll und so
Alles, was dann mit dem Müll passiert, zahlt man übrigens mit der Müllentsorgungsgebühr über die offizielle griechische Stromrechnung, auf der neben einer Rundfunkgebühr auch weitere sogenannte "Öffentliche Versorgungsdienste" wie z.B. Sperrmüllabholung aufgeführt sind – und sogar manchmal der zurückliegende Stromverbrauch, wie man so hört. Genau kann das aber keiner sagen, da wohl noch kein Grieche unbeschadet und bei mentaler Gesundheit durch die undurchdringlichen Tiefen der griechischen Stromrechnung gestiegen ist, noch bevor er auf einem Steckbrief am Strommast gelandet ist.
Auch deshalb ist es für Hausbesitzer nicht unbedingt der eigene Brunnen (der praktisch nirgendwo mehr neu genehmigt wird), der das autarke Herz höher schlagen lässt, sondern vielmehr die dezentrale Stromversorgung über Solar und Stromspeicher. Denn damit spart man sich nicht nur die nach wie vor recht häufigen (kurzen) Stromausfälle im Netz des staatlichen Versorgers, sondern auch noch die Gebühr für den einen oder anderen öffentlichen Versorgungsdienst. Auch das ist hier irgendwie Volkssport.

Zentrum eines jeden griechischen Mahls ist nicht Feta, Lamm oder Pita - sondern Yoghurt ©Jeff Velis/pixabay
Kulinarische Extravaganz: Yoghurt über alles
Auch das noch: Die griechische und speziell die kretische Küche ist für ihre zahlreichen gesunden und köstlichen Spezialitäten bekannt, auch wenn die legendäre Apollo-Platte und artverwandte in griechischen Restaurants im Ausland oft noch etwas anderes vermuten lassen – viel frisches Gemüse, bestes Olivenöl und das gemächliche Speisen in großer Runde gehören ebenso dazu wie die bekannten und beliebten Klassiker Dolmadakia, Gyros und Moussaka. Doch in den klassischen Tavernen wird nicht bis zum meist inkludierten Dessert gewartet, bis der eigentliche Star der griechischen Küche auf den Tisch kommt: griechischer Yoghurt. Ob als Dip zu gefüllten Weinblättern und Gemista (gefülltem Backgemüse), großzügig auf dem Gyros verteilt, in herzhafte Pitas gerollt oder als "Salat" mit Gurke und Knoblauch, jeder Gang kann Yoghurt. Neben dem Blau des Meeres ist es schließlich cremiges Weiß, dass die Fahne und auch die Herzen der Griechen mit Stolz erfüllt. Und da man Yoghurt in Griechenland natürlich in 1kg-Bechern kauft, ist auch immer noch etwas übrig für den Nachtisch mit Honig und frischen Früchten. Und dagegen kann ja nun wirklich niemand etwas haben.
Weiterführende Links:
Was die Gestaltung der griechischen Flagge offiziell bedeutet
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