Eine unglaubliche Geschichte des Kaugummis

Veröffentlicht am 19. Juni 2025 um 15:50

Der Drang, sich eine flexible Masse zwischen die Zähne zu schieben und darauf herumzukauen ist scheinbar so alt wie die Kultur der Menschen – war es doch zuvor etwas unpraktisch, direkt auf aromatischen Bäumen zu beißen. Doch wer hat`s denn nun erfunden? Im Verdacht stehen nicht nur Cowboys und Azteken, sondern auch Hamburger Auswanderer, neuseeländische Maori – und natürlich die Griechen als große Innovatoren der Antike. Über den Ursprung und die Erfindung des dauernden Kauens.

Mastix, eine antike Frühform des Kaugummis, wurde auch nachweislich zur Einbalsamierung ägypptischer Mumien verwendet  ©Kretaplan

Es können eigentlich nur deutsche Auswanderer gewesen sein, die im Hamburger Hafen die beschwerliche Seereise nach Amerika antraten, im Proviantgepäck neben speziellen Fleischbrötchen mit großer Zukunft
auch seeluftgetrocknete Dorschfilets – unschlagbar als Dauerkauware mit Nordseearoma gegen Heimweh, Langeweile und Reiseübelkeit. Oder waren es doch eigentlich die spanischen Conquistadores, die es
leid waren, immer nur auf aztekische Goldmünzen zu beißen und von den südamerikanischen Hochkulturen kurzerhand den Brauch übernahmen, sonnengetrocknete und in Kartoffelsuppe eingelegte Lamazungen zu kauen (die mutigsten Krieger ließen übrigens das Lama dran)? Oder waren es doch wieder die Römer, die von ihren amourösen Ausflügen nach Ägypten jenen uralten Brauch ins Weltreich importierten, durch das Kauen angereicherter Pflanzenextrakte die unmittelbare Nähe der jeweils zuständigen Gottheit zu erleben? Das wollen wir doch mal sehen.

Was man alles Kauen kann: Birke, Sapotil, Kauri und natürlich das Original Mastix

Tatsächlich lassen sich Spuren des Kauens zäher, haltbarer Substanzen in einer Vielzahl von Kulturen auf dem ganzen Erdball nachweisen: Bereits prähistorische Frühkulturen des europäischen Kontinents hinterließen ihre durchgekauten Batzen unter der Tischkante der Geschichte und zeugten so vom vierten Grundbedürfnis des Menschen neben Essen, Schlafen und der Paarung. In der Steinzeit wusste man im Hohen Norden, dass sich Birkenrindenpech nicht nur als Verbundstoff für Waffen und Werkzeuge eignete, sondern auch das Vorkauen für eine gewisse Geschmeidigkeit sorgte, nämlich auch im Mundraum und der Kiefermuskulatur. So fanden sich 9.700 alte Kaugummis bei Ausgrabungen im schwedischen Huseby Klev, die nicht nur Aufschluss über die Kauer und ihre Leisten zuließen, sondern auch über den Geschmack – wobei Hirsch, Fuchs und Haselnuss geschmacklich scheinbar weit vorne zwischen den Zähnen lagen.

Am fernen Ende der Welt kauten neuseeländische Maori das Harz des mächtigen Kauri-Baumes, gemischt mit aromatischen Kräutern, um auch nach dem traditionellen Verzehr der besiegten Kriegsgegner einen frischen Atem zu gewährleisten. Maya und Azteken gewannen ihr tzicli aus dem Latex-haltigen Saft des Sapotill-Baumes, der auch mit seinen süßen Früchten ebenfalls herhalten musste, wenn der Kakao mal wieder allzu bitter-würzig geraten war.

Die griechische Version verbreitet sich rings ums Mittelmeer

So vielfältig wie die Verbreitung der Kauware also war die Herkunft des Rohstoffs, der zur Herstellung mundgerechter Kauobjekte verwendet wurde. Als besonders wertvoll galt das biblische Harz des Pistazienbaumes, das im mediterranen Europa unter dem Namen mastix in aller Munde war und im antiken Mittelmeerraum als Gewürz und Medizin gegen Entzündungen, Magen- und Zahnfleischproblemen, und gezielt als mundhygienisch förderlicher Vorläufer des Kaugummis verwendet wurde. Durch die rege überregionale Handelstätigkeit der griechischen Stadtstaaten, gefolgt vom Expansionsdrang des Römischen Reiches, verbeitete sich die erfirischende Masse in Backentaschen über sämtliche Grenzen hinweg. In Griechenland wird bis heute das Harz des Mastix-Strauchs (Pistacia lentiscus) mit seinen leuchtend roten Beeren verwendet, um lokale Limonaden-, Gebäck- oder eben Kaugummi-Spezialitäten mit dem charakteristisch baumig-harzigen Geschmack zu würzen.

Rotbeerige Mastix-Sträucher an der Uferpromenade von Agios Nikolaos

Mastix wächst in Griechenland wie Unkraut, beispielsweise massenhaft an der Uferpromenade von Agios Nikolaos   ©Kretaplan

Entwicklung vom Baumharz zum Chewing Gum

Das Kauen von aromatischem Fichtenharz war unter den nordamerikanischen Ureinwohnern die frischere Alternative zur Friedenspfeife, und im 19. Jahrhundert konnte jeder einfallsreiche Geschäftsmann ein Vermögen mit der Befriedigung noch so seltsamer Bedürfnisse seiner amerikanischen Landsleute machen – wenn er den Geschmack der breitgekauten Massen traf. Doch die Massenproduktion des teuren Naturprodukts Baumharz war kaum möglich, um das Rennen um die Mundräume von Kauboys und Indianern gegen die beliebten Kauriegel aus Paraffinwachs zu gewinnen. 1869 kam das südamerikanische und etwas geschmacklose chicle aus Natur-Kautschuk über Mexiko in die USA, wo dann mehrere Pioniere an der geschmacklichen Aufwertung und weiterhin an synthetischen Alternativen zum kostspieligen Grundstoff Baumharz arbeiteten. Einer dieser einfallsreichen Herren war der New Yorker Thomas Adams, der zunächst mit einer Chicle-Lieferung aus dem Wilden Süden des Kontinents nicht recht weiter kam, bis er statt Spielzeug oder Reifen begann, Kaugummi zu produzieren. Dabei setzte er nicht nur auf eine Portionierung in vorgestanzter Streifenform, sondern traf auch mit seinem Lakritz-gewürzten Black Jack Chewing Gum erfolgreich den Geschmack der Amerikaner.

William Wrigley Jr., Marken und Märkte des Kaugummis

Der eigentliche Siegeszug des Kaugummis in die weltweiten Backentaschen nahm seinen Anfang in Chicago, als sich ein gewisser Seifenfabrikant namens William Wrigley Jr. der industriellen Herstellung der nunmehr synthetischen Kaumasse widmete und mit den Marken Wrigley`s Spearmint und Juicy Fruit nicht nur den Mundraum der Amerikaner, sondern eben auch die Wahrnehmung von Marken und die Werbewirkung für sich eroberte: Er weckte erfolgreich Bedürfnisse, die vorher nebensächlich und ungerichtet waren. Standardisierte Produktions- und Verpackungsverfahren erleichterten die Expansion in Absatzmärkte, die mittels Werbung in Zeitungen und auf Plakaten erst geschaffen wurden. Wrigley gründete ein internationales Unternehmen auf der weichen grauen Masse – übrigens so einflussreich, dass der totale Kaugummi-Bann des Stadtstaates Singapur kürzlich zu Gunsten zuckerfreier Kauware aufgeweicht wurde.

Ob diese Art der Kaugummi-Versorgung in Singapur eine Chance hätte?

Kaugummi: von der naturnahen Zahnpflege edler Wilder bis zu zwielichtigen Hinterhofgeschäften der Zuckerdealer  ©Thomas Ulrich/pixabay

Kaugummi-Prohibition und die Kriminalisierung der klebrigen Kaumasse

Von 1992 bis 2004 hatte die reinliche Regierung Singapurs, bekannt für ihre unerbittliche Ahndung von Ordnungswidrigkeiten, ein absolutes Herstellungs- und Verkaufsverbot für Kaugummi ausgesprochen, weil neben Oberflächen des öffentlichen Raumes besonders die Türen der Metro regelmäßig mit gebrauchten Bubble Gums verklebt waren und kostenintesive Betriebsstörungen verursachten. Schließlich wissen Stadtverwaltungen weltweit, dass sich Kaugummis nicht nur in der Verpackung lange halten – daher auch die Ausnahme von der Kennzeichnungspflicht eines Mindesthaltbarkeitsdatums – sondern auch recht zuverlässig bis zu fünf Jahre auf Gehwegen und anderen Oberflächen kleben bleiben.

Doch da traditionell die USA weltweit gegen die Barberei und für die Freiheit des Konsums eintreten, engagierten sich entspannt mit den Kaumuskeln mahlende Kongressabgeordnete für ein Ende der Kaugummi-Prohibition – mit Erfolg. Der weltgrößte Produzent namens Wrigley`s dankte und nahm umgehend die Belieferung mit zuckerfreier Ware auf. Denn bislang dürfen in Singapur nur gesundheitsfördernde Kaugummis wie Nikotin-Entwöhnungshilfen und zahnpflegende Produkte verkauft werden, und zwar nur in Apotheken und unter Registrierung der Personalien des Käufers. Der Genuss "sauberer" Rauschmittel wie Zigaretten und Prostitution unterliegt hingegen keinerlei Beschränkungen.

Übrigens entspricht die alte Pädagogenwarnung des innerlichen Verklebens beim Verschlucken nicht der Wahrheit, denn Kaugummis gehen unverdaut den gleichen Weg wie ehemalige Nahrung und finden intern nicht jene Anknüpfungspunkte wie etwa auf einer Parkbank in Singapur.

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